Erfolg als Nebenprodukt: Zwei Schlüssel zu mehr Menschlichkeit in Unternehmen

Lasst uns verrückt sein! Ich möchte Euch einladen, mir in ein Wirtschaftssystem zu folgen, in dem die entscheidenden Akteure verstanden haben, dass sie seit jeher ein falsches Spiel gespielt haben. Versteht mich nicht falsch – damit meine ich nicht die Mauscheleien, die wir immer wieder beobachten können und die uns nicht selten ernüchtert und fassungslos zurücklassen. Nein – ich spreche davon, einmal anzunehmen, dass in Unternehmen bzw. bei den entsprechenden Entscheidungsträgern Klarheit darüber besteht, dass sie sich in keinem endlichen, sondern in einem unendlichen Spiel befinden.

Unendliches Spiel? Was soll das denn bedeuten? Nun ja – es soll heißen, dass es im Wirtschaften im Normalfall kein endgültiges Ziel, keinen Endgegner oder irgendeinen anderen Endzustand gibt, an dem jede/r Teilnehmer/in einen Orden erhält, dessen Größe sich nach dem Unternehmensgewinn richtet und alle nach Hause gehen. Nein – das Ziel ist es, dauerhaft spielen zu können. Es ist also so, wie in der Adler’schen Psychologie: Der Weg ist das Ziel. Soll heißen: Wirtschaften ist weniger wie eine Wanderung, sondern vielmehr wie ein Tanz, der naturgemäß kein Ziel hat … wir tanzen einfach und haben dabei im besten Fall einen Heidenspaß. Es geht also darum eine gute Zeit zu haben! Denn wenn wir beim Tanzen ein konkretes Ziel verfolgen – zum Beispiel besonders cool zu wirken – fühlt sich das Ganze irgendwie verkrampft an anstatt zu fließen. Und dann ist es schnell vorbei mit der Leichtigkeit und dem Spaß. Und so ist es auch beim Wirtschaften: Ein krampfhaftes Kleben an dem einen ultimativen Ziel, der Gewinnmaximierung, lässt uns nicht nur den Spaß verlieren, es zieht auch unsere Aufmerksamkeit und damit auch unsere Energie von dem ab, was am Ende des Tages am wichtigsten ist: von den Menschen, die in den Unternehmen arbeiten. Und wenn wir den Bezug zu ihnen verlieren und sich eine Art destruktive Abstraktion einstellt, dann zahlen sie den Preis dafür.

Nun werdet Ihr sagen: Was ist das denn für ein naives Denken? Ohne Gewinn geht es nun einmal nicht! Und da gebe ich Euch völlig Recht! Genau aus diesem Grund gilt es auch nicht die Gewinnmaximierung per se in Frage zu stellen, sondern die Art und Weise, wie wir diese erreichen. Wir müssen uns nachhaltigere und gesündere Ansätze einfallen lassen – denn nicht vergessen: Wir befinden uns in einem unendlichen Spiel! Diese Ansätze müssen meiner Meinung nach den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen. Wäre es verrückt einen dauerhaften Zustand statt eines Pseudo-Endziels anzustreben? Einen Zustand in dem es dem Unternehmen wirtschaftlich gut geht und es den Mitarbeitern/innen beim Verlassen der Arbeit zumindest nicht schlechter geht, als beim Ankommen. Ein Zustand in dem die Mitarbeiter/innen die Arbeit – es soll ja keine Utopie skizziert werden – zumindest nicht als unendlich unangenehm empfinden? Wäre es nicht möglich trotz des notwendigen Geschäftsmodells, das nun einmal „Gewinnmaximierung“ lautet, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen sich als solche fühlen dürfen – in dem sie Subjekte sein dürfen, statt zu Objekten gemacht zu werden? 

Denn dann passieren die verrücktesten Dinge! Auf einmal kommt der Spaß zurück! Und noch verrückter: er bleibt! Ganz im Gegensatz zum kurzfristigen Dopamin-Kick, der sich einstellt, wenn man seine Ziele erreicht und mit hohen Gewinnen prahlen kann – denn sind wir mal ehrlich: Das Ego liebt große Zahlen. Aber am Ende des Tages sind es gute Beziehungen, die uns langfristig glücklich machen, uns physisch und psychisch gesund erhalten und sogar unser Leben verlängern – darüber sprach Robert Waldinger vor wenigen Jahren auch in einem TED-Talk, als er die neuesten Erkenntnisse der Harvard Studie zur Erwachsenen-Entwicklung vorstellte, die mit ihrem Start vor bald 80 Jahren die am längsten andauernde Studie dieser Art darstellt. So … nun aber zur Preisfrage: Wie genau sorgen wir dafür, dass es den Menschen in Unternehmen gut geht und wirtschaftlicher Erfolg von ganz allein, als eine Art Nebenprodukt, entsteht. Für mich haben sich hier zwei Voraussetzungen herausgeschält, die ich gern mit euch teilen möchte.

1. Stellt die Weichen auf Lernen: Das Growth-Mindset

Jedes Mal, wenn ich jemandem begegne, der mir sagt, dass er etwas grundsätzlich nicht kann oder noch nie konnte, sage ich Folgendes: „Fast jeder, kann fast alles lernen – es ist im Wesentlichen eine Frage der Zeit.“ Und als ich mich näher mit den Arbeiten von Dr. Carol S. Dweck, einer der weltführenden Wissenschaftlerinnen in den Bereichen Persönlichkeit sowie Sozial- und Entwicklungspsychologie, beschäftigte, fand ich meinen Glaubenssatz schließlich wissenschaftlich bestätigt.

Dr. Dweck zeigt, wenn man es einmal stark herunterbricht, dass es zwei Arten von Mindsets gibt: das Growth-Mindset und das Fixed-Mindset. Menschen mit Ersterem gehen davon aus, dass mit einer entsprechenden Lernbereitschaft und Arbeit eine andauernde Entwicklung und Potentialentfaltung stattfinden kann – der IQ keine feste Größe ist. Menschen mit Letzterem hingegen sind der Überzeugung, dass man Dinge entweder kann oder eben nicht – man den Intellekt oder das Talent für etwas hat oder nicht. Eines der resultierenden Probleme des Fixed-Mindsets ist es, dass Menschen mit diesem Mindset ständig damit beschäftigt sind, ihre (überdurchschnittlichen) Fähigkeiten zu demonstrieren, um diese auch von außen bestätigt zu bekommen. Hierzu gehört auch, bloß keine Fehler zu machen – perfekt zu sein. Denn Fehler wären ja gleichbedeutend mit einer Abwertung der Fähigkeiten, die nicht zu kompensieren wäre. Wie denn auch, wenn die Dinge so statisch sind? Das Growth-Mindset hingegen begreift die eigenen Fähigkeiten als veränderbar und durch Lernen entwickelbar. Die gute Nachricht gleich vorab: Wir können uns von einem zum anderen Mindset bewegen. Puh, Glück gehabt – keiner ist auf ewig verloren! Darüber hinaus sollten wir die beiden Mindsets auch nicht als absolut begreifen. Sehr oft finden wir auch Mischformen vor.

Nun zurück zum Unternehmen: Skalieren wir das Ganze also einmal hoch! Während ein Unternehmen, in dem viele oder sehr viele Mitarbeiter/innen mit einem Fixed-Mindset arbeiten so ziemlich das Gegenteil von einer lernenden Organisation ist, werden in einem Unternehmen mit einer ausgeprägten Growth-Mindset-Belegschaft Innovation, Ideen, situativ-sinnvolle Risikobereitschaft, Kreativität und Lernbegeisterung gefördert. Hier dürfen Fehler passieren – schließlich sind diese eine wichtige Voraussetzung für Lernen und Entwicklung. In ihren Studien konnte Dr. Dweck ebenfalls zeigen,  dass zum Beispiel die Mitarbeiterbindung, das Commitment und die Verantwortungsübernahme in diesen Unternehmen wesentlich höher sind. Mitarbeiter/innen aus Fixed-Mindset-Unternehmen hingegen sind viel eher bereit, das derzeitige Unternehmen für ein anderes zu verlassen. Zudem sehen sie Innovationen und Risikobereitschaft wesentlich kritischer, weil sie sich in unsicheren Situationen nicht genügend unterstützt fühlen oder sich vor Fehltritten fürchten. Auch unethisches und halsabschneiderisches Verhalten waren in diesen Unternehmen ein großes Thema. Was heißt das also für mich als Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

  • Sorgt dafür, dass ihr möglichst viele Growth-Mindset-Mitarbeiter/innen einstellt bzw. entwickelt. Denkt also weniger in aktuellen Fähigkeiten als in Potentialen.
  • Besetzt insbesondere Führungspositionen mit Menschen, die ein Growth-Mindset haben. Klärt diese darüber auf, wie wichtig dieses Mindset ist und wie man es (vor)lebt.
  • Sorgt für ein Arbeitsumfeld, dass die Entwicklung vom Fixed-Mindset zum Growth-Mindset fördert. Kommuniziert Fähigkeiten so oft es geht als etwas Dynamisches. Erschafft eine wohlwollende Fehlerkultur ohne Schuldzuweisungen – jeder Fehler bietet die Möglichkeit es das nächste Mal anders und besser zu machen. Auch die Förderung einer hierarchieübergreifenden Feedbackkultur (in beide Richungen) als Lernbeschleuniger bieten einen echten Mehrwert.

2. Verletzlichkeit als Stärke und Innovationsmotor begreifen

Seit 2003 forscht Brenè Brown, Professorin am Graduate College of Social Work in Houston, Texas nun schon zu den Themen Verletzlichkeit, Scham, Authentizität und innere Stärke. Ihr TED-Talk „Die Kraft der Verletzlichkeit“ ging viral und hat auf YouTube mehr als 12 Millionen Klicks. Ihre Arbeit beruht hierbei auf fast 1.300 qualitativen Interviews. Ich möchte an dieser Stelle nur einen kleinen Ausschnitt ihrer Ausführungen wiedergeben, der im Unternehmenskontext so unfassbar wertvoll ist.

Beginnen wir mit der Frage, was die größten Hindernisse für Kreativität und Innovation sind. Und … irgendeine Idee? Tatsächlich ist es die Angst vor dem Versagen, vor dem Scheitern, davor einen Fehler zu machen, sich zu irren. Wer will schon während der Vorstellung einer neuen Idee ausgelacht, verspottet oder erniedrigt werden? Schöpferisch sein, Fehler machen und Lernen sind nun einmal von Natur aus verletzliche Angelegenheiten. Also halten wir uns zurück und machen uns gar nicht erst verletzlich. Doch Innovation und Lernen kann nicht stattfinden, wenn wir verängstigt und mit gesenktem Kopf dasitzen, wenn wir uns innerlich zurückziehen und kein Engagement mehr aufbringen. Innovation braucht verrückte Ideen, sie braucht Scheitern und Lernen! Doch die meisten Menschen und Organisationen können das nicht ertragen – die Unsicherheit und das Risiko, das mit wirklicher Erneuerung verbunden ist, sind zu groß. Da muss es sehr schmerzhaft werden, bevor wir schließlich doch mutig werden. „Und es kam der Tag, da das Risiko in der Knospe zu verharren, schmerzlicher wurde als das Risiko zu blühen.“, so beschrieb es Anaïs Nin einmal treffend.

Doch muss es tatsächlich immer so lange dauern bzw. können wir es uns erlauben, dass es erst gar nicht dazu kommt, dass Innovationen, Ideen und Kreativität entstehen? Natürlich nicht! Wir müssen etwas tun! Wenn wir es schaffen, ein Arbeitsumfeld zu kultivieren, in dem intellektuelle Arroganz, Dogmatismus und Konkurrenzdenken dem Miteinander, dem Vertrauen und der Offenheit und vor allem der Verletzlichkeit weichen, dann kann wahre Entwicklung stattfinden … dann können wahre Innovationen entstehen! Und auf einmal befinden wir uns in einem Zustand, in dem unserem Unternehmen das riesige, bisher nur rudimentär genutzte, Potential seiner Mitarbeiter/innen zur Verfügung steht. Auf einmal sind es nicht nur einige wenige, sondern sehr viele Menschen, die gemeinsam hinter dem Unternehmen stehen und Dinge vorantreiben. Auf einmal entstehen Netzwerkeffekte, die deutlich machen, das eine einzelne Person mit viel Macht niemals so gute Entscheidungen treffen kann, wie eine Gruppe von Menschen. Auf einmal entsteht disruptives Engagement, das verkrustete Denkweisen, Strukturen und Prozesse aufbricht, um neue menschlichere und gleichzeitig effizientere und nachhaltigere Wege zu beschreiten. Was könnt Ihr bzw. können Entscheidungsträger also konkret tun?

  • Es fängt immer (!) bei uns selbst an. Nehmt die Maske ab und lasst Verletzlichkeit zu – denn obwohl es oft das Letzte ist, das wir zulassen möchten, ist es das Erste, wonach andere in uns suchen. Warum? Weil es menschlich ist und es die Menschlichkeit und die Imperfektion in anderen sind, die es uns ermöglichen, uns ebenfalls zu öffnen. Es ist das, was wahre Begegnung ausmacht und Vertrauen erzeugt. Seid mutig und macht den ersten Schritt, dann werden Euch andere folgen. Sollten diese den Moment wider Erwarten nutzen, um Euch anzugreifen, dann distanziert Euch von diesen Menschen bzw. interagiert mit Ihnen auf rein professioneller Ebene.
  • Für Unternehmen und Führungskräfte heißt es: Eine vertrauensvolle Kultur zu erschaffen, in der Verletzlichkeit zugelassen wird. Führungskräfte übernehmen hierbei wie immer eine Schlüsselrolle. Sie sind der Hebel, den es unbedingt zu nutzen gilt. Gerade diese müssen verstehen, welche Potentiale durch eine entsprechende Feedback- und Fehlerkultur entfaltet werden können. Verletzlichkeit ist zudem der wohl größte Einflussfaktor für Kohäsion. Zusammen-wachsen ist das Stichwort.
  • Merkt Euch Folgendes: „Es ist nicht der Kritiker, der zählt, nicht derjenige, der aufzeigt, wie der Starke gestolpert ist oder wo der, der Taten gesetzt hat, sie hätte besser machen können. Die Anerkennung gehört dem, der wirklich in der Arena ist; dessen Gesicht verschmiert ist von Staub und Schweiß und Blut; der sich tapfer bemüht; der irrt und wieder und wieder scheitert; der die große Begeisterung kennt, die große Hingabe, und sich an einer würdigen Sache verausgabt; der, im besten Fall, am Ende den Triumph der großen Leistung erfährt; und der, im schlechtesten Fall des Scheiterns, zumindest dabei scheitert, dass er etwas Großes gewagt hat […]“ – Theodore Roosevelt

Ich hoffe ich konnte Euch mit meinem Blog-Beitrag Impulse geben und zum Nachdenken anregen. Vielleicht konnte ich auch ein Gefühl konkretisieren, das schon lange auf eine vielleicht diffuse Art und Weise bei dem einen oder anderen vorhanden war.

Verabschieden möchte ich mich mit einem schönen Zitat aus dem Buch „Out of our Minds. Learning to be Creative“ von Sir Ken Robinson, einem britischen Autor und internationalen Berater in der Gesellschaftsentwicklung:

„Wie verführerisch das Bild von der Maschine für die industrielle Produktion auch sein mag, menschliche Organisationen sind keine Räderwerke und Menschen nicht die Rädchen darin. Menschen haben Werte und Gefühle, Wahrnehmungen, Meinungen, Motivationen und Biografien. Zahnräder und Zahnkränze haben all dies nicht. Eine Organisation ist nicht das Gebäude, in dem sie arbeitet; sie ist das Netzwerk der darin handelnden Menschen.“

In diesem Sinne: Ein Hoch auf New Work und das unendliche Spiel.

Quellen:

  • Mindset – Changing the way you think to fulfil your potential, Dr. Carol S. Dweck (2017)
  • Daring Greatly – How the courage to be vulnerable transforms the way we live, love, parent, and lead, Brené Brown (2015)

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